shlogo
Die Geschichte des Sanatoriums

[Home]
[Eiszeit]
[Steinzeit]
[Bronzezeit]
[Eisenzeit]
[Germanen]
[Mittelalter und frühe Neuzeit]
[Moderne]
[Neueste Zeit]
[Kirchborchener Gemeindevertretungswahl 1933]
[Die Pachtübernahme durch den Erbprinz von Sachsen-Altenburg]
[Die "Hamborner Kolonne" hilft beim Aufbau]
[Die Ausgliederung der Landwirtschaft]
[Das Verbot durch die Nazis]
[Der Neuanfang nach dem Krieg]
[Hamborn, Ostern 1945]
[Womit wurde in Hamborn bezahlt?]
[Impressum]
[Schloss]


Aus der medizinischen Arbeit 1931-1981

von Dr. Klaus Jensen (aus der Festschrift: 50 Jahre Hamborn)

In der „Natura, Zeitschrift zur Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlicher Menschenkunde“ (Heft 11/12 vom Dezember 1932) stand folgende Mitteilung zu lesen: „Schloß Hamborn bei Paderborn wurde kürzlich in Anwesenheit einer großen Gästeschar als Heim für Erholungssuchende und als Heil- und Erziehungsinstitut für seelenpflegebedürftige Kinder festlich eröffnet. Die Kinder und die Mitarbeiterschaft, die aus dem bisherigen „Haus Bernhard“ in Jena-Zwätzen dorthin gezogen sind, haben damit ein schönes neues Heim gefunden.“
Herausgegeben wurde diese Zeitschrift von Dr. med. Ita Wegman, die von Rudolf Steiner 1924 zur Leiterin der Medizinischen Sektion an der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum in Dornach berufen worden war. In dieser Eigenschaft unterstand ihr sowohl die anthroposophische Medizinbewegung im allgemeinen wie auch die Heilpädagogik im besonderen. Es war ein glücklicher Umstand, daß in Hamborn beide Arbeitsbereiche nebeneinander entstehen konnten, wo das Schloß mit repräsentativen Räumen und einer Reihe von kleineren Zimmern für ein Erholungsheim geeignet war, während die Kinder im „Kavalierhaus“ wohnten. Wie eng sich die vielbeschäftigte Klinik- und Sektionsleiterin mit der hoffnungsvollen Neugründung im fernen Ostwestfalen verbunden fühlte, geht daraus hervor, daß sie zwei wichtige Mitarbeiter von Arlesheim nach Hamborn schickte: Schwester Eva Gräfin Vitzthum als Pflegeleiterin ins Erholungsheim und Herrn Erich Kirchner als Geschäftsführer.
Dieses erste Haus seiner Art in Deutschland erfreute sich bald zunehmender Beliebtheit, und die alten Mitarbeiter von damals erinnern sich noch, daß zu den Festeszeiten, um die Feiern in Hamborn mitzuerleben, mehr Gäste kamen, als man eigentlich unterbringen konnte. Dann war auch das letzte Notquartier belegt. Die ärztliche Versorgung sowohl der Erholungsgäste wie der Kinder nahmen eine Reihe von Persönlichkeiten wahr, derer wir hier gedenken wollen: Dr. Ungar, Dr. Stickdorn, Dr. Waltraud Hoffmann. Dr. Helga Biedermann und Dr. Rose Erlacher, die mit dem Verbot der Hamborner Arbeit durch die NSDAP ihre Tätigkeit beenden mußte.
Aber der medizinische Gedanke hat die Verbotszeit überlebt. Nachdem Heim und Schule nach 1945 neubegonnen und sich konsolidiert hatten, wurden Pläne für den Bau eines Kurheims entwickelt, denn das Schloß stand wegen der wachsenden pädagogischen Arbeit nicht mehr zur Verfügung. — Eine schöne Waldwiese auf der dem Schloß gegenüberliegenden Seite des Ellerbachtales soll, wie es heißt, schon von Dr. Wegman als passender Platz dafür bezeichnet worden sein. Daran zeigt sich wieder ihre Fähigkeit, mit weitreichenden Zielen umzugehen, konkret im verfügbaren — vielleicht zunächst kleinen — Rahmen anzufangen. im Vertrauen darauf, daß eine Sache wächst, wenn sie zeitgemäß und fruchtbar ist. Sie hatte sich Rudolf Steiners während des Landwirtschaftlichen Kurses in Koberwitz geäußerten Worte zu Herzen genommen: Man solle daran denken, im Hinblick auf künftige katastrophale Ereignisse „Kultur-Inseln“ aufzubauen, in klösterlicher Abgeschiedenheit auf dem Lande, in denen dann noch kulturelles deutsches Geistesleben gepflegt werden könne. In Schloß Hamborn sah sie wohl einen Platz, der auch in diesem Sinne eine Bedeutung habe, und solche Gedanken sind hier immer lebendig geblieben. Was speziell den medizinischen Impuls anlangt, so fühlte sich das langjährige Mitglied des Vorstandes Lotte Giffenig diesem besonders verpflichtet. In ihrem Beruf als Gärtnerin hatte sie für das Pflegerische einen Sinn. und sie war auch die erste, die den Plan eines Alterswerkes in Hamborn in sich bewegte, das dann erst nach ihrem Tode entstand. Aber dem Kurheim konnte sie 1959/60 durch ihre Mitarbeit zum Leben verhelfen, nachdem durch eine namhafte Geldspende von Herta Schalk die Startmöglichkeit gegeben war und Kurt Wispler, als rüstiger Ruheständler, die Aufgaben eines Baubetreuers übernahm. (Architekt: Raphael Steiner, Kassel.) Die geringe Zahl von 20-24 Betten ermöglichte die Pflege einer intimen häuslichen Atmosphäre. war aber wirtschaftlich nur tragbar durch große Opfer aller Mitarbeiter. Jedoch wird keiner der Beteiligten der ersten Stunde unser liebes kleines Kurheim vergessen, das sich dann 10 Jahre später zum „Sanatorium“ mauserte.
Durch Vertreter der anthroposophischen „Ärztegruppe Ruhrgebiet“, welche der neuen Arbeit in Hamborn helfend zur Seite standen, war dem Verfasser die medizinische Leitung angetragen worden, und er hatte sie freudig angenommen. Wurde doch damit die Möglichkeit geboten, anders als in einer ärztlichen Praxis, gewissen Patienten eine Kurbehandlung auf der Grundlage der anthroposophischen Medizin zukommen zu lassen, wenn sie einer solchen bedurften. Und bedürftig sind, wie die ärztliche Erfahrung zeigt, besonders die Menschen, welche durch ihre Konstitution und Empfindsamkeit überdurchschnittlich an den Problemen des modernen Lebens leiden, ohne über die nötige geistig-physische Stabilität zu verfügen. „Psychosomatisch“ gestört. wie man das heute nennt, ist ein zunehmend großer Prozentsatz der Leidenden, welche die Sprechstunden der Ärzte aufsuchen. Genauer wäre es. von Verschiebungen im Gefüge von Leib, Seele und Geist zu sprechen. deren harmonisches Zusammenwirken dasjenige bildet, was man als Gesundheit bezeichnen darf. Und nur eine Heilmethode, welche diese Dreigliederung konkret in Diagnose und Therapie handhabt, verdient die heute ja oft gehörte Bezeichnung „Ganzheitsmedizin“. In diesem Sinne muß ein Sanatorium von unten bis oben von einem Geist erfüllt sein, der auf alle Wesensglieder der Patienten heilsam einwirkt. Ein Kranker oder Erschöpfter — für vier Wochen liebevoll versorgt in einem Haus mit wohltuenden Formen und Farben, ohne Radio und Fernsehen, mit menschengemäßen Heilmitteln behandelt, durch künstlerische Tätigkeiten belebt und bereichert — empfängt damit aufbauende Kräfte, mit denen er lernen kann, die Anforderungen seines Alltages besser zu bewältigen.
Und nicht nur das Haus atmet diesen Geist, auch die Hamborner Landschaft bietet dem Großstädter und Naturfreund lebendige Anregungen. Nicht imponierend gewaltig ist unser Umfeld, aber liebenswert in seiner Intimität von Waldeinsamkeit und stillem Tal, die wechselt mit freier Sicht in die Weite, wenn man die Höhe der Paderborner Hochfläche erreicht und nun den großen Himmel von Horizont zu Horizont über sich hat. Auch die Herrlichkeit des nächtlichen Firmamentes wieder entdeckt zu haben, hat mancher Besucher dankbar bemerkt und als Geschenk mit in die Stadt genommen, wo durch die Beleuchtungsfülle eine solche Himmelsansicht oft kaum noch möglich ist.
Über diese Faktoren des behüteten Innenraumes und der lebendigen Naturwelt hinaus ist in Hamborn die Möglichkeit gegeben. an dem Kulturleben im Umkreis der Schule, des Landschulheims, des Altenwerkes, am anthroposophischen Geistesleben und am Kultus der Christengemeinschaft teilzunehmen. So erklärt sich, daß nicht wenige Menschen viele Male immer wieder kommen, um in den „Gesundbrunnen“ einzutauchen, dessen lebendiges Wasser aus vielfältigen Quellen gespeist wird.
Eine Anerkennung unserer Arbeit ist auch in der Öffentlichkeit erfolgt, indem die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in Berlin, die selbst über große Häuser verfügt, sich 1968 bereit erklärte. Patienten aus „anthroposophisch-orientierten Arztpraxen“ auf Antrag zu Kuren hierher zu schicken. Das geschah allerdings erst nach einem umfangreichen Erweiterungsbau 1969, der ausreichende Räume für die künstlerische Therapie schaffte und die Bettenzahl auf 30 erhöhte. Nun wurde auch der Name des Kurheims in „Sanatorium“ geändert aus Gründen der richtigen Einstufung in das Tagessatzsystem der Versicherungsträger. — Die Vereinbarung mit der BfA verdient deshalb festgehalten zu werden, weil sie ein Beispiel für die geistige Freiheit im allgemeinen Medizinwesen darstellt. Sachbearbeiter aus Berlin, die das Sanatorium besichtigten, konnten sich ein Bild von der hier geübten „Außenseiter-Medizin“ machen und erkennen, daß sie von den Patienten und den einweisenden Ärzten gewünscht wird. Diesen Tatbestand zu akzeptieren war und ist bis heute ein Beitrag zum sozialen Frieden, den wir dankbar anerkennen. Wenn solche Toleranz auch von selten der sogenannten Schulmedizin geübt würde, wäre unsere Sorge um Verbot oder Anerkennung der „Naturheilmittel“ behoben. Aber da in gewissen Kreisen statt Toleranz das wissenschaftliche Dogma herrscht, besteht die Gefährdung weiter. Deshalb sollten alle Freunde der „biologischen Medizin“ sich aktiv hinter diejenigen stellen, die in der Öffentlichkeit für die Erhaltung der Therapiefreiheit kämpfen: am besten durch Eintritt in einen der bestehenden Vereine.
Es sieht nicht so aus, als würde in der näheren Zukunft die Menschheit einen Zuwachs an Gesundheit gewinnen. Zwar hat man die akuten fieberhaften Krankheiten fast ausgerottet, dafür nehmen die chronischen überhand: Herzinfarkt, als Endergebnis langjähriger Blutgefäßverfettung, Krebse und degenerative Leiden aller Art. Daß da kausale Zusammenhänge bestehen könnten, wird nicht gesehen. Man sucht emsig weiter nach „Risikofaktoren“ und findet deren immer mehr. Nun soll organisierte Vorbeugung zum Heile führen. Aber solange man diese nur in einer Verbesserung der äußeren Verhältnisse: des allgemeinen Lebensraums, des Arbeitsplatzes, der Ernährung und der zwischenmenschlichen Beziehungen sieht, wird keine Wende eintreten. Dazu bedürfte es einer radikalen Sinnesänderung; sie könnte eintreten, wenn die Wissenschaft vom Geiste neben der materialistischen Naturwissenschaft in viel mehr Köpfe und Herzen einzöge. Dadurch würden nicht nur die Herzen gesünder, die jetzt Angina pectoris bekommen, sondern mit den wärmeren Herzenskräften ließen sich auch die Auswüchse der seelenlos gewordenen Zivilisation vergeistigen und zum Guten wenden. Eine gewaltige Aufgabe! Eine Aufgabe, die vor denjenigen steht, die historisches Gewissen entwickeln, d. h., sich für die Menschheitszukunft mitverantwortlich fühlen wollen. Und aus dem Gefühl der Verantwortung entspringt Enthusiasmus und Opferbereitschaft. ohne welche die sozialen Gemeinschaften, auf die es ankommt, nicht leben können.

Copyright dieser Seite © by Verlag Ch. Möllmann, Schloss Hamborn,                                  Impressum